Joshua Kimmich
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Kimmichs Äußerungen zu Katar Werte sind nicht nur dann nützlich, wenn sie bequem sind

Stand: 14.11.2024 13:45 Uhr

Joshua Kimmichs Äußerungen zur politischen Verantwortung von Fußballspielern, insbesondere im Kontext der FIFA-Weltmeisterschaft in Katar und der wahrscheinlichen Fußball-WM in Saudi-Arabien, offenbaren bemerkenswerte Widersprüche.

Einerseits betont er, dass Werte – gerade als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft -- wichtig seien und Spieler für Grundsätze einstehen sollten. Andererseits zieht er sich mit der Begründung zurück, dies sei "nicht unser Job", und verweist darauf, dass "Experten" politische Stellungnahmen abgeben sollten.

"Willkürliche" Haft für WM-Whistleblower

Diese Haltung ist problematisch angesichts der gesellschaftlichen und (sport-)politischen Dimensionen solcher Sport-Großveranstaltungen. Die WM 2022 in Katar fand in einem Land statt, das massiv gegen Menschenrechte verstößt: Gastarbeiter arbeiteten an der WM-Infrastruktur unter katastrophalen Bedingungen, Homosexualität steht unter Strafe, und es herrscht weder Presse- noch Meinungsfreiheit.

Der WM-Whistleblower Abdullah Ibhais, der sich für streikende WM-Arbeiter einsetzte, sitzt weiterhin in Haft, weil es intern als Affront gegen Hassan Al-Thawadi, den Chef des Organisationskomitees, galt. Die Vereinten Nationen bezeichneten Ibhais Inhaftierung mittlerweile als "willkürlich".

Episode 5 - Ein Jahr danach

Benjamin Best, Robert Kempe, Katar - WM der Schande (Staffel 1), 30.10.2023 21:00 Uhr

Sport und Politik sind eng verflochten

Die umstrittene Vergabe der WM an Katar und die wahrscheinliche WM 2034 in Saudi-Arabien verdeutlichen, dass sportpolitische Interessen oft über Prinzipien wie Fairness und Menschenrechte gestellt werden. In Saudi-Arabien herrscht ein repressives Regime, das Meinungsfreiheit unterdrückt, kritische Stimmen zum Schweigen bringt, Frauenrechte einschränkt und Homosexualität kriminalisiert. Die Todesstrafe ist ein gängiges Mittel, um Dissidenten und vermeintliche Verbrecher zu bestrafen.

Für viele ist die Vergabe der WM an dieses Land ein weiteres Beispiel dafür, wie autoritäre Staaten das Zusammenspiel zwischen Sport und Politik nutzen und Sportverbände wie die FIFA gern Unterstützung leisten. Und im Gegenzug finanziell profitieren. Dass Sport und Politik eng miteinander verflochten sind, lässt sich nicht leugnen.

Rolle eines Kapitäns geht über das Sportliche hinaus

Wenn Kimmich für "nicht verhandelbare Werte" eintreten möchte, sollten Menschenrechte zweifellos dazugehören. Es reicht nicht aus, sich auf Experten zu berufen, wenn Spieler durch ihre Teilnahme eine starke politische Botschaft senden - bewusst oder unbewusst. Die Rolle eines Kapitäns geht über das rein Sportliche hinaus. Sie bringt Verantwortung mit sich, gesellschaftliche Entwicklungen zu reflektieren und, wenn nötig, kritisch Stellung zu beziehen.

Die Aussage, das Turnier in Katar sei "überragend" gewesen, weil Infrastruktur und Trainingsbedingungen optimal waren, wirkt angesichts der Missstände beinahe zynisch. Diese Bedingungen waren nur durch den Einsatz Hunderttausender Gastarbeiter unter extremen und vielfach tödlichen Bedingungen möglich.

Die Auffassung, man solle sich auf die eigenen "Baustellen" konzentrieren und keine universellen Werte "aufzwingen", mag bescheiden wirken, verkennt jedoch die globale Plattform des Fußballs, der weit über Landesgrenzen hinaus Einfluss hat. Eine kritische Haltung wäre weniger "politisch" als vielmehr ein Zeichen der Solidarität und Verantwortung gegenüber den Menschen, die durch solche Megaevents immer wieder leiden.

In Kimmichs Rolle gibt es keine Neutralität

Die bevorstehende Vergabe der WM 2034 an Saudi-Arabien stellt den Fußball und die Fans erneut vor ein Dilemma zwischen sportlichem Erfolg und gesellschaftlicher Verantwortung. Die FIFA, die sich offiziell für Fairness und Inklusion einsetzt, vergibt das prestigeträchtigste Fußballturnier in ein Land, das viele dieser Prinzipien fundamental missachtet.

Für Spieler wie Kimmich, die betonen, dass Werte nicht verhandelbar seien, müsste diese Entwicklung zum Nachdenken anregen. In der Position, die Joshua Kimmich als Kapitän der Nationalmannschaft innehat, gibt es also keine Neutralität, sondern immer eine Entscheidung: Entweder nutzt man die Reichweite und Plattform, um auf Missstände hinzuweisen, oder man riskiert, sie zu legitimieren, indem man sie unkommentiert lässt. Werte sind nicht nur dann nützlich, wenn sie bequem sind.